Sebastian Kurtenbach ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Sozialpolitik an der FH Münster und Privatdozent an der Ruhr-Universität Bochum. Er forscht zu gesellschaftlicher Teilhabe, sozialer Ungleichheit und den Auswirkungen von Quartiersstrukturen, besonders auf Kinder und Jugendliche. Als Mitautor des Buchs "Kinder – Minderheit ohne Schutz" analysiert er die Benachteiligung von Kindern in einer alternden Gesellschaft – auch im Bildungssystem. Auf dem Fachtag Bildungsmanagement NRW am 30.09.2025 (Anmeldung) wird er zentrale Thesen aus dem Buch aufgreifen und aktuelle Herausforderungen im Bildungswesen beleuchten.
1. Wenn Sie einen Wunsch an die Bildungspolitik frei hätten – was müsste sich Ihrer Meinung nach sofort ändern?
Wir brauchen einen ernstgemeinten Kulturwandel, nach dem es nicht mehr normal ist, dass Kinder im Bildungssystem scheitern. Wir müssen es uns vor Augen führen: 50.000 Kinder verlassen die Schule ohne Schulabschluss und das pro Jahr. Das sind rund 7,5 Prozent aller Kinder pro Jahr. Das können wir uns in Zeiten des demografischen Wandels erst recht nicht mehr leisten. Um es zu ändern, braucht es aber mehr als Geld, es braucht die Bereitschaft Strukturen zu verändern und das, was heute als selbstverständlich angesehen wird, zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.
2. In welchem Bereich sehen Sie insbesondere in den Kommunen und Städten Chancen und Potenzial?
In den Kommunen können neue Ansätze schneller und besser erprobt werden. Wir schlagen konkret vor, Schulen zu Community-Zentren weiterzuentwickeln. Das ist eine Art Stadtteilcampus, der sich um eine Schule herum organisiert und mit der Schule kooperiert. Davon profitieren am Ende alle, die Kommunen können das aber am besten umsetzen.
3. Gibt es ein Bild oder eine Statistik, die die Situation von Kindern im Bildungssystem und in unserer Gesellschaft besonders deutlich macht?
Kinder sind eine Minderheit ohne wirksamen Minderheitenschutz. Dazu ein Bild, das diesen Minderheiten-Status verdeutlicht: Im Jahr 2024 feierten mehr als doppelt so viele Menschen ihren 60. Geburtstag, wie Kinder geboren wurden. Etwa fünf Jahre später werden die einen ins Rentenalter übergehen, bei den anderen beginnt die Schulpflicht. Dieses Verhältnis von 2:1 ist in seinem Ausmaß neu. Lange Zeit konnte man es sich, so hatte es zumindest den Anschein, leisten, Kinder zu ignorieren. Dass das auf Dauer nicht gut geht, merken wir in den Bildungsstudien. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren, sondern müssen jetzt handeln.